Drei Texte – zwei Träume – ein Thema

In DIE ZEIT vom 1. März 2007 hat Steve Wozniak, der einen der ersten Personal Computer konstruiert und die Firma Apple mitbegründet hat, seinen Traum von einem Virtual Teacher beschrieben. Darunter versteht er einen Roboter, der ihn lebenslang begleitet und als kluger Berater, Freund, Coach und Diskussionspartner zur Seite steht. Eigentlich erstaunlich, dass ein Ingenieur mit seinem Hintergrundwissen an solche Wesen mit künstlicher Intelligenz glaubt und von ihm auch gleich noch künstliche Emotion erwartet. Man wundert sich umso mehr, als in der auch erst kürzlich erschienen Autobiographie iWoz von ihm durchaus eindrücklich geschildert wird, welch großer Einfluss von prägenden Personen seines persönlichen Umfelds (Vater, Mutter, einige Lehrerinnen und Lehrer) seinen Lebensweg bestimmt haben. Dort schildert er auch, wie gern er Kinder unterrichtet hat – und ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass er das genauso kompetent, von der Sache begeistert und humorvoll getan hat, wie er sich in vielen Interviews auch jüngeren Datums und in Schilderungen Dritter präsentiert hat. Das ausgerechnet er sich einen virtuellen Lehrer als neuen Kollegen wünscht, ist doch irritierend. Wahrscheinlich kennt er nicht die Geschichte The Fun they had von Isaac Asimov.

Der zweite Text hat weniger mit Träumen zu tun, sondern mit dem Schwarzbrot der Forschung, nämlich der Evaluation, hier der Computernutzung in heutigen Klassenzimmern. In dem Papier When Each One Has One:Technology as a Change Agent in the Classroom, das vom 19.–22.03.2007 im Instructional Technology Forum (ITFORUM) diskutiert wird, schildern Morrison, Ross und Lowther eine Begleituntersuchung eines dreijährigen Schulversuchs, bei dem Laptop-Klassen, bei denen alle Schüler/innen einen (von den Eltern finanzierten) Laptop zur Verfügung hatten mit Klassen, denen ein mobiles Klassenzimmer (d. h. temporäre Verfügbarkeit der Laptops für die Schüler/innen) verglichen wurden. Alle beteiligten Lehrer/innen durchliefen ein spezielles Trainingsprogramm (NTeQ) zur Integration von Computer und Internet als Werkzeuge für problembasiertes Lernen. Vorgehen und Ergebnisse sind durchaus vergleichbar mit den Untersuchungen die wir aus dem deutschsprachigem Raum kennen:

  • Schule in Bewegung (Bericht zu österreichischem Notebookprojekt)
- Notebookklassen
  • Lernen für die Zukunft (Dissertation Schaumburg zum Projekt der Bertelsmann Stiftung)
  • Notebooks in der Hauptschule (Abschlussbericht zu Projekt der Stiftung Bildungspakt Bayern)

Ziemlich durchgängig haben diese Studien gezeigt, dass Computer und Internet tatsächlich den Unterricht verändern können, wenn denn die Rahmenbedingungen stimmen. Denn es hat sich gezeigt, dass die LehrerInnen entsprechende Unterstützung erhalten müssen (und dies nicht nur in technischer, sondern auch in didaktischer und organisatorischer Hinsicht), die Eltern mit einbezogen werden sollten und nicht zuletzt den SchülerInnen klargemacht wird, was von Notebookklassen zu erwarten bzw. nicht zu erwarten ist. Bei aller gebotenen Zurückhaltung in der Interpretation der Daten lässt sich doch feststellen, dass wenn SchülerInnen ein Notebook zur persönlichen Verfügung haben, dieses im Sinne eines kognitiven Werkzeugs eingesetzt wird, dass offenere und komplexere Aufgabenstellungen Eingang in den Unterricht finden und eine höhere Eigenaktivität der SchülerInnen erreicht werden kann. Einiges deutet darauf hin, dass die SchülerInnenn die dabei erworbene Medienkompetenz auch außerhalb des Unterrichts nutzen und anwenden. Also, Veränderungen finden statt, aber langsam und nur dann, wenn das System Schule in den Blick genommen wird und nicht nur punktuelle unterrichtliche Veränderungen.

Genau damit befasst sich der dritte hier zu erwähnende Text von Laurie Rowell über den 100-Dollar-Laptop. Das dahinter stehende Projekt OLPC (One Laptop Per Child), ein non-profit Spin off des MIT Media Lab hat sich zum Ziel gesetzt, Schüler/innen aus Entwicklungs-, Schwellen und Industrieländern durch Zugang zu einem Computer (eben den für alle erschwinglichen 100-Dollar-Laptop, den umfassenden und vielfältigen Zugang zum modernen Wissen ermöglichen. „Das Projekt ist kein Laptop-Projekt, es ist ein Ausbildungsprojekt“ so Nicholas Negroponte, der Initiator dieses Projekts.

Ich muss zugeben, dass ich zu diesem Projekt bisher nicht umfassend informiert bin und ehrlich gesagt, hielt ich es bisher für vordringlicher, Hilfe dafür zu organisieren, dass alle Kinder ausreichend Essen und sauberes Wasser erhalten und in Sicherheit vor Krieg und Gewalt aufwachsen können. Allerdings halte ich auch den Ansatz des Projekts für weit reichend und richtig, dass nur über Bildung Armut und Konflikten beizukommen ist. Der Artikel von Rowell hat mir gezeigt, dass es den Initiatoren bewusst ist, dass ein systemischer Ansatz notwendig ist, der Veränderungen des jeweiligen Bildungssystems impliziert. Sie sind deshalb dabei – entsprechend breit angelegt – nicht nur die Hardware zu entwickeln und die Infrastrukturen zu sichern, sondern auch Inhalte aufzubereiten, Methoden auszuarbeiten und Personen zu gewinnen und auszubilden für die Umsetzung vor Ort. Mir bleiben noch gewisse Zweifel, warum ausgerechnet die (Bildungs-) Politiker in den Partnerländern dieses Projekts tatsächlich aufgeschlossener gegenüber den ambitionierten und innovativen Ansätzen sein sollten als unsere, aber ich wünsche dem Projekt jeden Erfolg.

Inzwischen glaube ich, dass hier ein im besten Sinne „radikaler“ Ansatz vorliegt, der auch unserem Schulsystem gut täte. Das wäre dann mein Traum, dass auch bei uns alle Kinder, am besten schon in der Grundschule, einen eigenen 100-Euro-Laptop nutzen könnten. Wie im OLPC-Projekt vorgesehen, sollte das staatlich finanziert werden, um auch bei uns einen digital divide zu verhindern. Das geht deutlich weiter als die Forderung der IT-Branche beim Technologie-Gipfel mit Merkel, die Anschaffung steuerlich zu fördern. Es wäre vor allem hilfreich, von dem Wildwuchs wegzukommen, wo Schulen mit gespendeten, gekauften oder aufgemöbelten Rechnern unterschiedlichster Konfigurationen kämpfen. Das dann spannende neue Unterrichtsformen möglich sind (weg von instruktionalen, hin zu konstruktivistischen/konstruktionistischen und kooperativen Formen) konnte ich vor einigen Jahren in einem europäischen Notebook-Projekt selber erleben.

Vieles könnte dann koordinierter, kooperativer und effizienter gelöst werden. Eine Plattform für Information und Austausch ist mit Schulen-ans-Netz ja schon vorhanden. An vorbereitenden und begleitenden Informations- und Weiterbildungsaktivitäten würden sich außer mir sicher viele erfahrenen E-Teacher gerne beteiligen … ich fürchte nur, dass die notwendigen Verhandlungen mit den 16 Bildungsministerien in den Bundesländern aus dem Traum einen Alptraum werden lassen könnten.

Ein Gedanke zu „Drei Texte – zwei Träume – ein Thema

  1. Hallo Herr Wedekind,
    ich fürchte nur, dass die notwendigen Verhandlungen mit den 16 Bildungsministerien in den Bundesländern aus dem Traum einen Alptraum werden lassen könnten.
    Da bin ich mir nicht mehr so sicher. Wir hatten vor kurzem ein Gespräch mit Prof. Dr. Franz Josef Röll, in Vorbereitung auf unsere Diplomarbeit, die sich auch um das Thema OLPC drehen wird.
    Seiner Meinung nach könnte der Zeitpunkt nicht besser sein. Das Problem mit dem “instruktionalen” oder passivem Unterricht ist wohl endgültig angekommen, es ist Zeit für einen interaktiven Unterricht, bei dem es weniger darum geht, Wissen zu vermitteln sondern vielmehr darum, “Lernen zu Lernen”.
    In Deutschland gibt es derzeit nicht viele Informationen zum Thema OLPC. Das haben Sie wahrscheinlich auch bemerkt, auch wir schauen ein wenig neidisch nach Österreich. Das war unsere Motivation, die Initiative OLPC Deutschland zu starten.
    Auch wir träumen Ihren Traum. Und wir wollen was bewegen. Wir würden uns sehr freuen, wenn wir uns mal treffen könnten.

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