Programmieren für Alle – mit LiveCode?

Für mich ist Programmieren eine Muckibude fürs Gehirn (das bezieht sich auf den Vergleich der Argumente für das Erlernen alter Sprachen). Verkürzt auf Slogans wie Coding is the new Latin oder Programmieren für alle finden sich mehrere Begründungslinien, warum und wie das Programmieren von Computern in der Schule gelehrt werden sollte. Wer diese Forderung praktisch umsetzen will, kommt am Ende um die Wahl einer konkreten Programmiersprache nicht herum. Dann stellt sich die Frage, ob der abgeleitete Slogan JavaScript ist das neue Latein nur eine Metapher oder schon eine Festlegung sein soll. Eine interessante Option ist jedenfalls LiveCode, ein Nachfolger des legendären HyperCard.

Bei einem Besuch in Edinburgh hatte ich Gelegenheit, Kevin Miller, Gründer und CEO der dort ansässigen Softwarefirma RunRev, zu interviewen. RunRev hat die Entwicklungs-umgebung LiveCode entwickelt und kürzlich dank einer Kickstarter-Kampagne als OpenSource verfügbar gemacht. Ich konnte Kevin Miller befragen zur Entwicklung von LiveCode und auch zur Rolle von ICT in britischen Schulen.

LiveCode: Kevin Miller begann bereits an der High School mit SuperCard (einem millerklHyperCard-Klon), später mit MetaCard (einem Linux-basierten Klon) zu programmieren. Später arbeitete er dann daran mit, genau dieses MetaCard auf Windows zu portieren. Dabei entwickelte er Ideen, MetaCard zu erweitern. Als Apple HyperCard fallen ließ und sich mit komplexen Entwicklungsumgebungen (wie XCode) auf Programmierprofis konzentrierte, sah er den Bedarf für Werkzeuge, die sich wieder an jedermann richteten. Über eine Projektförderung konnte MetaCard übernommen werden und zu Revolution (einer plattformübergreifenden Linux-/Mac-/Windows-Version von MetaCard) weiter entwickelt werden.

Revolution bildete dann die Basis für die Weiterentwicklung zu LiveCode. Für dieses gilt write once, run anywhere, nämlich insgesamt auf sechs Plattformen (iOS für iPhone, iPad, iPod touch, Android, Mac, Windows, Linux und Server für Cloud-Anwendungen). Es bietet eine grafische Umgebung für das Gestalten der Benutzeroberfläche. Bei der Zuordnung von Code zu den Objekten können auch plattformspezifische Funktionalitäten ausgenutzt werden (wie Kamera oder Sensoren bei Smartphones und Tablets).

Durch eine sehr erfolgreiche Kickstarter-Kampagne mit fast 500.000 £ von 3.342 Unterstützern ist LiveCode nun Open Source geworden. Das bedeutet, dass die Umgebung kostenlos erhältlich und für die Entwicklung von Open Source Anwendungen genutzt werden kann. So wird nun die Weitergabe von Programmen möglich, die z.B. von Lehrern oder Schülern geschrieben werden, was bisher ausgeschlossen war. Für kommerzielle Programme wird nach wie vor eine kostenpflichtige Lizenz benötigt; ein Upgrading ist bei Bedarf möglich. Für die OpenSource Version wurde und wird die in Teilen inzwischen 20 Jahre alte Code-Basis (mit 500.000 Zeilen Code) völlig erneuert. Insbesondere wird sie modularisiert, damit andere leichter Erweiterungen und Verbesserungen einbringen können.

IKT in Schulen: Auch in Großbritannien haben die Schülerzahlen in Informatik-/ Computerkursen abgenommen, gegenläufig zu anderen MINT-Fächern. Dies steht im krassen Gegensatz zur ökonomischen und gesellschaftlichen Bedeutung. Wenn, dann werden häufig nur Kenntnisse in Office-Programmen oder anderen Anwendungen vermittelt; das beherrschen die Schülerinnen allerdings meistens schon. Mit dem Programmieren lernen sie dagegen etwas für sie Neues. Der Einstieg an Schulen ist mit LiveCode besonders leicht und geeignet, weil die Programmiersprache eine “English-like”-Syntax besitzt. Dadurch besitzt sie eine große Ausdruckskraft und der Code ist sofort verständlich lesbar. Die Programmierer sollen sich auf Logik und Struktur ihrer Problemlösung konzentrieren können statt auf syntaktische Feinheiten.

In Schottland ist LiveCode an Schulen inzwischen weit verbreitet. Auch wenn informatische Inhalte ebenfalls Bestandteile im nationalen Curriculum des restlichen UK geworden sind, stellt sich die Frage, wer diese dann unterrichten soll. RunRev versucht deshalb den Lehrern entsprechende Materialien an die Hand zu geben. Ziel ist, dass alle Schüler Grundprinzipien des Programmierens kennen und eigene Erfahrungen damit sammeln können, keineswegs aber, sie zu Programmierern auszubilden. Mit LiveCode werden die Hürden dafür – z.B. im Vergleich zu JavaScript oder gar C – entscheidend gesenkt. Kevin Miller hält LiveCode ab ca. 13 Jahren für geeignet, weil die Schüler dann mit einfacheren Umgebungen wie Scratch oder App Inventor keine ‘realen’ Problem mehr lösen können.

Mir scheint, LiveCode ist eine attraktive Alternative fürs Programmieren für Alle. Es wäre zu wünschen, eine aktive Community würde eine breite Basis geeigneter OER beisteuern. Zumindest in diesem Punkt ist Scratch ein bisher unerreichtes Beispiel.

2 Gedanken zu „Programmieren für Alle – mit LiveCode?

  1. Ich unterstütze die Aussage, dass LiveCode eine sehr gut geeignete (vielleicht so gar die beste) Programmiersprache ist. Schliesslich basiert sie auf dem legendären HyperCrad, welches Tausende von Laien in die Lage versetzte, ihren Computer zu programmieren und das ohne lange Kurse, Schulungen etc.
    Der Durchbruch von Hypertext wurde meines Erachtens wesentlich durch HyperCard ermöglicht, und Hypertext ist das Grundkonzept des Web.
    Als Software-Ergonom halte ich das Sprachdesign von LiveCode für das benutzerfreundlichste, das es bisher gegeben hat und wundere mich, dass die xTalk-Formate nicht seit den 80ern zum Standard gehören. Ich hoffe, dass LiveCode den Erfolg hat, den es verdient und bin aktiv an der Verbreitung der frohen Kunde beteilgt. Ein wichtigter Aspekt dabei ist die Übersetzung der Dokumentation ins Deutsche, damit die Sprachbarriere eingerissen wird. Wer sich beteiligen möchte, ist herzlich eingeladen in das Deutsche Livecode-Wiki: http://de.livecode.wikia.com/

    Beste Grüße
    Torsten Holmer

  2. interessant, dass so alte Beiträge nochmal gelesen werden 😉
    Ich finde LiveCode nach wie vor sehr interessant und freue mich deshalb, dass es deine Initiative mit dem Wiki gibt.
    Allerdings bin ich derzeit mehr mit Snap! beshäftigt, mit dem ich meine Computerkunst-Ambitionen noch besser umsetzen kann.
    Gruß
    Joachim

Schreibe einen Kommentar zu Torsten Holmer Antworten abbrechen