Vom mit media lab kam die Nachricht, dass Seymour Papert am 31. Juli verstorben ist, verbunden mit einem Nachruf, der prägnant seine Arbeit und seinen Einfluss zusammen fasst (vgl. auch Fisher, Clark). Aber auch wenn ich keine Gelegenheit hatte, ihn persönlich zu erleben, möchte ich benennen, wie stark mich seine Arbeiten beeindruckt und beeinflusst haben: Natürlich die Programmiersprache Logo, aber dazu sein Konzept des Konstruktionismus und sein Buch Mindstorms.
Mit Logo hat Papert ein Werkzeug konzipiert und mitentwickelt, mit dem bereits Kindern ermöglicht werden sollte, Aufgaben algorithmisch zu lösen. Der Zugang sollte niedrigschwellig sein, gleichzeitig aber auch der Weg zur Bearbeitung komplexer Probleme geöffnet werden („no treshold, no ceiling“). Für die Niedrigschwelligkeit steht die Schildkrötengarfik (turtle graphics), die eine natürliche, körperorientierte Geometrie verwendet. Andererseits konnte bereits die Logo-Version für den 8-Bit-Rechner Apple II Programme als Daten behandeln (was heute in Snap! wieder zu finden ist; schöne Anwendungen davon finden sich in Ziegenbalg (1985): Programmieren lernen mit Logo, S. 168 ff.). Papert wollte nämlich Werkzeuge entwickeln, mit denen Kindern das „Beste der Computerwissenschaften“ an die Hand gegeben werden sollte, damit sie ihre Denk- und Lernweisen verbessern können. Es gibt viele Anwendungsbeispiele, die zeigen, dass das möglich ist.
Ende der 60er Jahre entwickelte Seymour Papert seinen Ansatz des Konstruktionismus. Darin verbindet er reformpädagogische Ideen zum selbstbestimmten Lernen mit Piagets lerntheoretischen Überlegungen zum Konstruktivismus. Dabei legt er einen deutlich stärkeren Akzent auf das kreative Handeln im Sinne der Konstruktion von Dingen. Unterstrichen wird die Rolle des Schaffens persönlich bedeutungsvoller Artefakte, die gezeigt, diskutiert, erprobt und bewundert werden können – ein Aspekt, der auch für Studierende relevant ist. Papert hat nicht nur Logo als ein Werkzeug zum konstruktionistischen Lernen entwickelt, sondern war an vielen Weiterentwicklungen beteiligt, wie der Lego Mindstorms Roboter-Serie und der One Laptop Per Child Initiative.
„Use new technologies not to solve problems of school-as-it-is instead of seek radically new opportunities to develop school-as-it-can-be. The time has come to move beyond „technology-aided school.“ It is time to open our minds to radical change in the institution of school itself.“
Den theoretischen Kontext seiner Arbeit entwickelte Papert in seinem Buch Mindstorms: Kinder, Computer und Neues Lernen. Berühmt ist seine Metapher vom Matheland, einer Umgebung, in der Kinder ganz selbstverständlich Mathematik lernen, so wie sie die Sprache in ihrer Sprachumgebung lernen.
Meist wird unterschlagen, dass es Papert weniger um die Einführung von Computern in die Schule ging, sondern um die Veränderung von Schule als Institution. Er stellt die Lernenden ins Zentrum aller Überlegungen: Computer, Logo und Roboter sind für ihn nur die geeigneten Vehilkel, die Lernenden zu befähigen, aktive Konstrukteure ihres Wissens zu werden, indem sie für sie selbst bedeutungsvolle Artefakte erschaffen.
Im Laufe meines Berufslebens habe ich immer wieder von Paperts Anregungen profitiert, mehrfach in konkreten Projekten. Ein Ergebnis war u.a. ein Studienbrief zur Lehrerfortbildung: Rauch & Wedekind (1989): Schildkrötengrafik: Einfaches Programmieren von Grafiken. Dieses Material habe ich vor kurzem wieder aufgenommen und erweitert (Joachim Wedekind: Programmierung interaktiver Grafiken. Eine Einführung mit ACSLogo. Band 1: Polygone, Spirolaterale, Rekursive Grafiken, L-Systeme). Und auch bei meinem Steckenpferd, der Computerkunst, arbeite ich mit Snap! in der Tradition von Logo.
Ehrlicherweise ist festzustellen, dass leider in Deutschland weder das Konzept des Konstruktionismus noch Logo als Programmiersprache die ihnen gebührende Verbreitung gefunden haben. Selbst in den USA gibt es dafür nur eine (wenn auch deutlich größere) Nische; immerhin gibt es sehr aktive Communities um den Logo-Nachfolger Scratch und bei Snap! in Form des Curriculums Beauty and Joy of Computing. Späte Nachwirkungen zeigen sich u.a. auch in der Maker-Bewegung, in der sich viele auf Papert beziehen. Die Schriften und Materialien von Seymour Papert sind auf jeden Fall nach wie vor aktuell und allen anempfohlen, die sich um Veränderungen in der Schule angesichts der Herausforderungen durch die Digitalisierung der Gesellschaft bemühen. Sie sind im Netz auf der Website von papert.org oder bei Planet Papert zu finden.